Jahrmärkte und Messen hatten eine wichtige Funktion für die mittelalterliche Wirtschaft. Bauern und Handwerker erhielten Gelegenheit, ihre Produkte einem breiten Publikum vorzustellen und neue Kunden zu gewinnen. Fernhändler kamen in die Stadt und brachten exotische Waren aus fernen Ländern mit, die im Heiligen Römischen Reich kaum oder gar nicht hergestellt wurden – zum Beispiel Gewürze, Seide, bestimmte Tuchfarben usw. Außerdem lockten Märkte fahrendes Volk und Heilkundige an, die die Menschen mit ihren Possen unterhielten bzw. ihre Gebrechen behandelten. Die Herbergswirte, die Bader und andere örtliche Dienstleister freuten sich über auswärtige Kundschaft, die frisches Silber in ihre Geschäfte trug. Deshalb waren die Städte und Landesherren stets bestrebt, in ihrem Herrschaftsgebiet neue Messen anzusiedeln oder vom König die Genehmigung für einen zusätzlichen Markt zu erhalten, in der Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Märkte von internationalem Rang waren die sogenannten „Champagnemessen“, die verschiedentlich von diversen Romanfiguren aus Das Salz der Erde besucht werden. Die Champagnemessen wurden sechsmal im Jahr an wechselnden Orten abgehalten: im Januar und Februar in Lagny-sur-Marne bei Paris; im März und April in Bar-sur-Aube; im Mai und Juni sowie im September und Oktober in Provins; im Juli und August sowie im November und Dezember in Troyes. Sie waren im 12. und 13. Jahrhundert eine der wichtigsten Anlaufstellen für englische Wollhändler, flämische Tuchmagnaten und Kaufleute aus dem ganzen Abendland (und darüber hinaus) und standen daher unter dem Schutz der mächtigen Grafen von Blois, die sich um die Organisation der Messen und die Sicherheit der anreisenden Kaufleute kümmerten. Erst im 14. Jahrhundert, als andere Handelszentren an Attraktivität gewannen, verloren die Champagnemessen an Bedeutung.
Wegen ihres großen wirtschaftlichen Gewichtes galten für Märkte besondere Regeln, die im Marktrecht niedergelegt waren. Ein Marktkreuz markierte den Ort des Geschehens; Handel treiben durfte man nur innerhalb bestimmter Zeiten, etwa ab 18 Uhr hatten die Geschäfte zu ruhen, denn Arbeit und Gelderwerb bei Dunkelheit galten im Mittelalter als verwerflich. Auf großen Messen sorgte ein eigener Marktvogt für die Einhaltung von Recht und Gesetz. Er überwachte die Einhaltung von Verträgen, schlichtete Streitigkeiten zwischen Vertragspartnern und hatte die Befugnis, Diebe, Betrüger und andere Kriminelle an Ort und Stelle vor einem speziellen Marktgericht abzuurteilen. Für alle Besucher galt eine besondere Friedenspflicht, der „Marktfrieden“. Wer ihn störte, indem er andere bedrohte, angriff oder gar verletzte, wurde hart bestraft. Auf manchen Märkten war sogar das Tragen von Waffen verboten.
Übrigens reisten im Hochmittelalter die meisten Kaufleute des Heiligen Römischen Reiches noch selbst zu den Messen, obwohl diese Fahrten manchmal Wochen dauerten und mit vielen Mühen und Gefahren für Leib und Leben verbunden waren. Erst im Spätmittelalter war der internationale Handelsverkehr nördlich der Alpen so weit ausdifferenziert, dass die Kaufleute den größten Teil ihrer Geschäfte von zu Hause aus steuern und die anstrengenden Reisen an Angestellte delegieren konnten.
Dieser Text ist Teil einer Artikelserie, die sich mit den historischen Hintergründen von Das Salz der Erde beschäftigt. Jede Woche erscheint ein neuer Artikel.
26.10.2013 14:31
26.10.2013 15:07
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