Im 13. Jahrhundert hatten sich zahlreiche Städte des Heiligen Römischen Reiches als Freie Reichsstädte etabliert. Köln, Mainz, Speyer, Lübeck und Augsburg sind die Namen, die einem in diesem Zusammenhang üblicherweise einfallen. Das lothringische Metz wird dabei oft übersehen, dabei hatte sich die Metzer Bürgerschaft schon früh vom Bischof emanzipiert und eine Stadtrepublik aufgebaut, die bis in die frühe Neuzeit hinein zu den mächtigsten des Reiches zählte.
Metz liegt an den Flüssen Mosel und Seille und gehörte im Mittelalter zum Herzogtum Oberlothringen, einem Fürstentum im äußersten Westen des Heiligen Römischen Reiches. Aufgrund der günstigen Verkehrslage gelangte die Stadt zu Wohlstand; das reiche Bürgertum und insbesondere die Kaufleute nahmen dies zum Anlass, politische Freiheiten und Privilegien zu fordern. Stadtherren von Metz waren seit der Spätantike die Bischöfe, sie verteidigten im 11. und 12. Jahrhundert erbittert ihre schwindende Macht und mussten sich schließlich dem aufsässigen Stadtvolk beugen: In der Charta Grand Atour de Metz von 1180 gewährte Bischof Bertram der Bürgerschaft zahlreiche Rechte und Möglichkeiten der politischen Mitbestimmung. Die Kommune erlangte Eigenständigkeit – die Republik Metz war geboren.
Die Stadt selbst war für damalige Verhältnisse sehr groß: 15- bis 20.000 Menschen lebten innerhalb der 6 km langen Stadtmauer; im 14. Jahrhundert sogar bis zu 30.000. Das Land, das Metz beherrschte, ging weit über das eigentliche Stadtgebiet hinaus und umfasste 130 Dörfer, deren Einwohner gegenüber der Republik steuerpflichtig waren und ihr im Fall eines Krieges Heerfolge leisten mussten.
Die Republik ähnelt in ihrem Aufbau anderen Freien Städten des Hochmittelalters, doch gibt es einige interessante Besonderheiten in der Organisationsstruktur, die man so nur hier findet. Die städtische Oberschicht, das Patriziat, hatte sich in sogenannten Paraiges zusammengetan, Geschlechterverbänden, die jeweils aus mehreren altehrwürdigen und miteinander verschwägerten Familien bestanden. Einige dieser „118 Familien von Saint-Étienne“ reichten der Legende nach bis in die Zeit Julius Cäsars zurück, sie bildeten die städtische Aristokratie und bestimmten das politische Leben in Metz.
Die Mitglieder der sechs Paraiges besetzten alle wichtigen Gremien der Republik, insbesondere das mächtige Kollegium der Dreizehngeschworenen. Diese Treize jurés, wie sie sich nannten, waren Ratsherren, die Gesetze erließen, als Richter die Gerichtsbarkeit kontrollierten und den meisten Behörden vorstanden. Ebenfalls den Paraiges entstammte der Schöffenmeister, der maître-échevin, der das Oberhaupt der Stadtverwaltung war und über Krieg und Frieden und andere Belange von großer Tragweite entschied. Gemeinsam mit den Treize jurés bildete der Schöffenmeister den Großen Rat.
Die Bürger, die das Pech hatten, nicht aus einer der 118 Familien von Saint-Étienne zu kommen, waren de facto Einwohner zweiter und dritter Klasse, denn sie hatten kaum Möglichkeiten, sich politisch einzubringen und die Geschicke der Stadt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Sie gründeten daher ein eigenes Kollegium aus fünfundzwanzig gewählten und vereidigten Grafen, das ein Gegengewicht zur Macht der Paraiges darstellen sollte.
Daneben gab es weitere Räte und Gremien mit den verschiedensten Funktionen in der Verwaltung und Regierung der Republik Metz. Erwähnt seien hier nur noch die „Siebenschaften“, die ungefähr die Aufgabe moderner Ministerien hatten. Wie der Name andeutet, setzten sich die diversen Siebenschaften aus jeweils sieben Männern mit klar umrissenen Aufgaben zusammen. So gab es die Sieben des Krieges, zuständig für militärische Operationen, den Austausch von Gefangenen, die Überbringung von Lösegeldern und dergleichen; die Sieben der Mühlen; die Sieben der Mauern; die Sieben der Spitäler; die Sieben der Brücken; sowie die Sieben Schatzmeister, denen die Steuererhebung oblag.
Obwohl dieses Geflecht aus Kollegien und Behörden kompliziert und bürokratisch anmutet, arbeitete die Regierung der Republik überaus effektiv. Jahrhundertelang behaupteten sich die Metzer erfolgreich gegen die Übergriffe diverser Nachbarn, etwa der Herzöge von Oberlothringen, die mehrmals versuchten, die Stadt zu erobern. Ihr Reichtum wuchs kontinuierlich und erreichte seinen Höhepunkt im 14. und 15. Jahrhundert. Währenddessen förderte das Patriziat Kunst, Kultur und Literatur, sodass Metz zahlreiche Gelehrte, Buchmaler und Schriftsteller hervorbrachte, darunter den berühmten spätmittelalterlichen Autor Philippe de Vigneules.
Im 16. Jahrhundert dann wurde Metz gezwungen, sich dem Königreich Frankreich anzuschließen. Damit ging eine Ära zu Ende – die Stadt verlor ihre wirtschaftliche und kulturelle Vormachtstellung in der Region und wurde mehr und mehr zu einem Bollwerk gegen Deutschland ausgebaut: eine Rolle, die Metz bis ins 19. Jahrhundert spielte.
Dieser Text ist Teil einer Artikelserie, die sich mit den historischen Hintergründen von Das Salz der Erde beschäftigt. Jede Woche erscheint ein neuer Artikel.
11.06.2015 14:33
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