Law & Order im Mittelalter

Law & Order im Mittelalter

21 August 2013

Gerichtsverhandlungen im Deutschland des 21. Jahrhunderts, insbesondere Strafprozesse, sind komplexe und langwierige Verfahren. Gesetze und Verordnungen regeln den Ablauf und jedes Detail. Hochtechnisierte Ermittlungsmethoden liefern den Behörden Beweise und Informationen verschiedenster Art. Verteidiger, Staatsanwälte, Gutachter und Richter nehmen unterschiedliche Aufgaben wahr, damit das Verfahren möglichst ausgewogen ist und gerecht verläuft.

All das gab es im 12. und 13. Jahrhundert noch nicht. Tatsächlich zeigen uns vor allem die Rechtsordnungen des Hochmittelalters, wie sehr sich diese Epoche von der unseren unterschied.

Bevor Bürger, Patrizier und Kaufleute in den Städten die Macht an sich rissen, lagen die Gerichtsbarkeit und die Exekutive in den deutschen Metropolen zumeist in der Hand des Stadtherrn – des Bischofs. Gewaltenteilung kannte man nicht; der Bischof war gleichzeitig Polizeichef, Staatsanwalt und Richter. Besonders mächtige Kirchenfürsten besaßen sogar gesetzgeberische Kompetenzen.

Die Judikative war im Mittelalter zweigeteilt. Man unterschied zwischen der niederen Gerichtsbarkeit, zuständig für zivilrechtliche Angelegenheiten, Ordnungswidrigkeiten und mindere Strafsachen, etwa Mundraub oder kleinere Diebstähle. Der hohen Gerichtsbarkeit oblagen die schweren Verbrechen: Körperverletzung, Raub, Einbruch, Verrat, Mord, Vergewaltigung und dergleichen. Man nannte sie auch „Blutgerichtsbarkeit“, denn auf all diese Verbrechen standen schmerzhafte Leibstrafen, nicht selten der Tod.

Daneben gab es sogenannte „Sendgerichte“, vor denen Verstöße gegen kirchliche Gebote verhandelt wurden: Unzucht, Ehebruch und andere Sittlichkeitsvergehen; aber auch Fluchen, Arbeiten bei Nacht und am heiligen Sonntag etc.

Sämtliche Gerichte unterstanden dem Bischof, der den Vorsitz an einen Ministerialen oder adligen Beamten delegierte. Diese Schultheißen und Vögte, wie man sie nannte, leiteten das Gerichtsverfahren und fällten das Urteil, nachdem sie sich mit ihren Schöffen beraten hatten. Bei den Schöffen handelte es sich oft um gewählte Beisitzer aus der Bürgerschaft, meist zwölf an der Zahl, denn sie symbolisierten die biblischen Apostel. Aus diesen Schöffenkollegien entstanden in vielen Städten später die Räte der Bürger und Patrizier.

Strafprozesse waren eine heikle Angelegenheit. Beweise und Indizien, wie wir sie heute kennen, kamen dabei kaum zur Anwendung. Hatte man einen Kriminellen nicht auf frischer – „handhafter“ – Tat ertappt, war es sehr schwer, ihm sein Verbrechen nachzuweisen und dafür zu belangen. Man brauchte glaubwürdige Zeugen, die den Täter mit ihren Aussagen in die Enge treiben und zu einem Geständnis bringen konnten.

Stellt man sich einen mittelalterlichen Prozess vor, denkt man sofort an Folter. Dabei ist Folter ein Phänomen des Hoch- und Spätmittelalters, ein Instrument des neuartigen Römischen Rechts, das im Heiligen Römischen Reich erst spät das alte germanische ablöste. Bis ins 13. Jahrhundert hat man Verdächtige kaum gefoltert, um sie zu einer Aussage zu bewegen. Vielmehr griff man auf sogenannte „Gottesurteile“ zurück. Man ließ buchstäblich Gott und die Heiligen über Schuld und Unschuld entscheiden, etwa indem man den Angeklagten mit bloßer Hand ein glühendes Eisenstück aus dem Feuer holen ließ. Verheilten seine Brandwunden schnell und ohne zu eitern, galt seine Unschuld als erwiesen. Heilten sie jedoch langsam, hatte Gott den Täter entlarvt, und er wurde gerichtet.

Neben dieser „Feuerprobe“ gab es viele weitere Spielarten des Gottesurteils, etwa die Wasser-, die Kerzen- und die Giftprobe.

Eine ähnliche Maßnahme der mittelalterlichen Rechtsfindung war der Zweikampf. Die Kontrahenten traten mit blanken Waffen gegeneinander an oder ließen sich, wenn sie nicht waffenfähig waren, von erfahrenen Champions vertreten. Gekämpft wurde nur selten bis zum Tod, doch wer in dem Gefecht unterlag, galt als der Schuldige.

Sowohl Gottesurteile als auch Zweikämpfe wurden nur selten angewendet, gleichwohl gehörten sie jahrhundertelang zum Instrumentarium der Gerichte. Erst im 13. Jahrhundert erkannte man sie als irrational und wenig geeignet, die Wahrheit aufzudecken, und sie wurden von Kaiser und Kirche geächtet. Dies ebnete rationaleren Beweisverfahren den Weg.

Humaner wurden Strafprozesse dadurch nicht. Wie oben erwähnt, führte man um diese Zeit herum allmählich die Folter ein und quälte Verdächtige auf grausige Weise, um an ein Geständnis zu gelangen. Dass der Delinquent bald willens war, schlichtweg alles zu gestehen, nur um seine Qualen zu beenden, versteht sich von selbst. Übrigens lehnte die Kirche Folter zunächst ab. In der Bulle Ad extirpanda von Papst Innozenz IV. aus dem Jahr 1252 wird sie dann jedoch in die Inquisitionsprozessordnung aufgenommen.

Man sieht: Mittelalterliche Gerichtsverhandlungen waren eine blutige Angelegenheit. Wir können uns also glücklich schätzen, dass wir all das hinter uns gelassen haben. Trotzdem leben diverse Aspekte des mittelalterlichen Rechtswesens in der deutschen Sprache fort und haben manche Spuren in Sprichwörtern und Redewendungen hinterlassen. Beispielsweise der Ausdruck „etwas in den Wind schlagen“: Er hat seinen Ursprung in der Praxis des gerichtlichen Zweikampfes. Erschien einer der Kontrahenten nicht pünktlich zum Gefecht, hatte der andere automatisch gewonnen. Er musste hierzu nur noch dreimal mit seinem Schwert in die Luft schlagen.

Oder die Redewendung: „Für den würde ich nicht die Hand ins Feuer legen!“ Heute kennt man nur noch ihren metaphorischen Sinn. Für die Menschen des Mittelalters jedoch, die beim Gerichtstag alle paar Jahre Zeuge einer Feuerprobe wurden, hatte sie eine ganz konkrete und schmerzhafte Bedeutung ...

Dieser Text ist Teil einer Artikelserie, die sich mit den historischen Hintergründen von Das Salz der Erde beschäftigt. Law & Order im Mittelalter ist der vorerst letzte Artikel dieser Serie.

2 Kommentare

MEINHARD HOFFMANN

05.09.2023 10:07

Gab es im Mittelalter eine "nächste Instanz", an die man sich wenden konnte um ein Urteil zu revidieren? Wenn der Bischof auch Richter war, könnte man meinen, es sei möglich sich an den Erzbischof oder an den Pabst zwecks Revision zu wenden. War das möglich? Bei den Verbunden von Freien Städten (z.B. Hanse) möcht man annehmen, dass man sich gegen ein Urteil in der einen Stadt an das Gericht in der "Mutterstadt" (z.B. Lübeck) wenden kann. War das so? Meinhard.
Daniel Wolf

05.09.2023 17:17

Das war nach meiner Kenntnis regional sehr verschieden und hat sich im Lauf des Hoch- und Spätmittelalters mehrfach gewandelt. Hoch angesehene Gerichte galten als sogenannte Oberhöfe, wo "geringere" Gerichte um Rechtsauskünfte ersuchten. Mitunter, aber nicht immer, galten die Oberhöfe als höhere Instanz. Die höchste gerichtliche Instanz war der König, bei dem man sich über als ungerecht empfundene Urteile beschweren konnte. Wozu aber nur wenige Menschen die Möglichkeit gehabt haben dürften. Ich habe mich schon länger nicht mehr mit der Thematik befasst und Ihre Frage aus dem Gedächtnis beantwortet. Daher: keine Gewähr. Ich empfehle Ihnen, selbst zu der Fragestellung zu recherchieren. Im Lexikon des MIttelalters finden Sie hierzu sicher Informationen.
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